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TREND

Österreichs Coolste Erfinder

Ihre Erfinder nennen sie Hail Mary, die Hagelmarie. In einer großen Halle im Linzer Hafenviertel steht sie, 1,70 Meter groß mit bauchi gem Druckregler und kantigem Geschwindigkeitsmesser, wie von Daniel ...

Ihre Erfinder nennen sie Hail Mary, die Hagelmarie. In einer großen Halle im Linzer Hafenviertel steht sie, 1,70 Meter groß mit bauchi gem Druckregler und kantigem Geschwindigkeitsmesser, wie von Daniel Düsentrieb höchstpersönlich zusammengeschraubt.

Ihre Mission ist simpel: Sie macht kaputt, Dachziegel ebenso wie Dämmstoffplatten. Denn ihre Initialen HM stehen für ihre einzige Funktion: Hagel-Maschine (siehe Porträt rechts). Buchstäblich in der Garage entstanden, extrem anwendungsnah und weltweit einzigartig, ist sie dennoch zu ungelenk, um den Star in einer TV-Start-up-Show abzugeben, und wegen des auf insgesamt nur acht Stück geschätzten Weltmarktes zu dürftig skalierbar, um potente Investoren mit ihren Füllhörnern anzulocken.

Mit Show hat das am Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung (IBS), einer Prüfanstalt der Brandverhütungsstelle (BVS) Oberösterreich, entwickelte Simulationsgerät folglich wenig zu tun. BVS-Direktor Arthur Eigenbeiss betont gerade deshalb stolz sein Credo: "Forschung braucht angewandte Ergebnisse."

Zwischen Großkonzernen mit ihren riesigen Forschungsbudgets, die sie verlässlich in die jährlichen Patentrankings katapultieren, und den DigitalStart -ups gibt es in Österreich einen oft wenig beachteten, dafür umso erfinderischeren Bereich, in dem einander Innovation und Alltag die Hand reichen. Voller kreativer Entwicklungen, die in der Regel aus praktischer Notwendigkeit entstehen, fällt dieses bunte Universum der Tüftler und Bastler oft auch durch das offizielle Aufmerksamkeitsraster, weil es nicht -oder nicht schnell genug -auf aktuelle Förderschwerpunkte wie aktuell Robotik oder künstliche Intelligenz reagiert.

Zudem fehlt es oft an bürokratischem Know-how, um ans Geld zu kommen: "Konzerne haben eigene Förderungsmanager, Start-ups kennen sich in diesem Bereich ohnehin aus -wegen der Komplexität des Fördersystems holen aber viele kleine Unternehmen Förderungen nicht einmal ab", sagt Sonja Sheikh, die designierte Geschäftsführerin der Austria Cooperative Research (ACR), eines Verbunds von privaten Forschungsinstituten, der die Vernetzung zu Klein-und Mittelunternehmen (KMU) entschieden verstärken will: "Das ist ein struktureller Nachteil."

Diese einschlägigen Wissenslücken sind kein österreichisches, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen. Nur so ist zu erklären, dass europaweit der Anteil der Einzelerfinder und KMU an allen angemeldeten Patenten in den letzten Jahren rapide auf 20 Prozent gesunken ist (siehe Grafik auf Seite 36). Denn auch das Know-how im Umgang mit Patentanwälten und -behörden ist in Großunternehmen und Universitäten deutlich größer.

Aber es gibt nicht nur externe Gründe. Noch-ACR-Geschäftsführer Johann Jäger sieht etwa in der ausgeprägten Angst vieler Unternehmer, das Heft aus der Hand zu geben, den Hauptgrund dafür, dass sich viele der mittelständischen Innovatoren nicht auf die Bühne trauen: "Klein-und Mittelbetriebe haben noch immer große Scheu, sich in die Karten schauen zu lassen und zu kooperieren." Das bestätigt auch Mariella Schurz, in der privaten B&C-Privatstiftung für den renommierten Houska-Preis zuständig, der vor drei Jahren eine eigene Kategorie für KMU geschaffen hat: "Viele Mittelständler wollen keine Informationen offenlegen, damit sie nicht vorzeitig von einem Wettbewerber rechts überholt werden können."

MENTALE HÜRDEN. Auch Stolz und ausgeprägtes Autonomiedenken spielen eine Rolle. "Ich habe mein Geschäftsmodell noch nie auf eine Förderung aufgebaut", sagt etwa der Unternehmer Gerald Reiter mit dem Brustton der Überzeugung. Der Oberösterreicher hat ein Verfahren entwickelt, mit dem aus organischem Material unter extremer Hitze personalisierte Edelsteine hergestellt werden können (siehe Seite 33) - seine Firma Mevisto hat zuletzt aus dem Zahn eines Tyrannosaurus Rex im Wiener Naturhistorischen Museum einen funkelnden Rubin erschaffen. In die Entwicklung seiner Innovation hat Reiter, dessen Hauptgeschäft Arbeitsschutzprodukte sind, nach eigenen Angaben bisher mehrere Millionen Euro aus der eigenen Tasche investiert.

Dabei ist Zusammenarbeit sowohl mit großen Unternehmen, die oft auch Kunden sind, als auch mit Forschungsinstitutionen sowie Förder-und Vermarktungsprofis ab einer bestimmten Innovationsphase unerlässlich, so der Konsens der Experten. "In der Generierung von geistigem Eigentum sind wir gut. Es ist die Verwertung, an der es oft hapert", beobachtet Marlis Baurecht, die in der staatlichen Förderbank Austria Wirtschaftsservice (aws) das Geschäftsfeld Entrepreneurship und Schutzrechte leitet. Sprich: Die Unternehmen tragen zwar stolze zwei Drittel zu den jährlichen Forschungsausgaben von 12,3 Milliarden Euro bei. Doch in der Disziplin, wie man die dabei gewonnenen Ideen schützt und zu Geld macht, gibt es noch erhebliches Verbesserungspotenzial.

GROSSE BÜHNE. Anerkennung und Aufmerksamkeit durch Preise ist immerhin ein Weg, um Tüftler aus ihren Garagen zu locken. Neben dem ACR-Kooperationspreis ist der Houska-Preis für viele die erstmalige Chance, sich einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Allein der KMU-Preis der B&C-Stiftung ist mit insgesamt 250.000 Euro dotiert. B&C-Managerin Schurz ortet trotz anfänglicher Transparenz-und Berührungsängste allmählich ein Umdenken: "Es tut sich was in Sachen Kooperation. Seit 2018 gibt es sogar eine Art Alumni- Club der Preisträger - auf deren eigenen Wunsch." Während der digitale Startup-Hype am Abflauen sei, gebe es noch jede Menge innovative Mittelständler vor den Vorhang zu holen, ist Schurz überzeugt.

Die traditionell größte Bühne dafür bietet der Staatspreis für Innovation, der seit über 30 Jahren vom Wirtschaftsministerium vergeben und von der aws gemanagt wird. Die rund 5.000 Einreichungen allein der letzten zehn Jahre sind für die Experten wertvolles Datenmaterial: "So können wir Innovationstrends erkennen", sagt Matthias Reisinger von der aws.

Die Verleihung findet dieses Jahr am 28. März statt, mit Überraschungen ist stets zu rechnen. Im Vorjahr wurde etwa mit dem W&H Dentalwerk Bürmoos ein höchst innovativer Anbieter im Bereich der Zahnmedizintechnik ausgezeichnet - für den ersten pneumatisch betriebenen Zahnbohrer (siehe Seite 34). Die dahinter liegende Großkategorie, die im Fachsprech Medical Health Care heißt, war auch bei den diesjährigen Einreichungen der dominante Trend, verrät Reisinger. Und fast immer sind Digitalisierungslösungen mit im Paket.

ALGORITHMUS. Denn das ist die schlechte Nachricht für hartgesottene Tüftler und Garagentypen: Um die Digitalisierung werden auch sie nicht herumkommen. Das können selbst die Linzer Erfinder der Hagelmaschine aus allernächster Nähe beobachten: In ihrer großen Halle im Hafenviertel werden auch andere Katastrophen simuliert, von Brand bis Wasser. Rund die Hälfte etwa der Brandprüfungen könnte in Zukunft durch Rechenmodelle am Computer ersetzt werden, erwartet BVS-Chef Eigenbeiss nüchtern. Ganz werden die Bastler zwar auch in Zukunft nicht durch Algorithmen und Rechner ersetzbar sein. Doch es ist gut möglich, dass auch die Dachziegeln und Dämmstoffplatten in absehbarer Zeit vorwiegend am Bildschirm zerstört werden - und dass die Tage von Hail Mary somit gezählt sind.

Patentanmeldungen von österreichischen Firmen am europäischen Patentamt 2009-2018

2009 1.496

2010 1.744

2011 1.734

2012 1.874

2013 1.993

2014 1.964

2015 1.998

2016 2.024

2017 2.209

2018 2.292

Anteil von Einzelerfindern und KMU an den angemeldeten Patenten

2016 28 %

2017 24 %

2018 20 %

Innovationsfreudigste österreichische Unternehmen (Anzahl der 2017 in Österreich angemeldeten Patente)

1. AVL List 155 2. Tridonic 84 3. Julius Blum 81 4. ZKW Group 69 5. Zumtobel Licht 38

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